Es gibt Tage und Ereignisse, deren Bedeutung man erst in der Zukunft wird bewerten können. Einer dieser Tage war für den VfL Bochum der 7. Oktober 2017. Der Tag, an dem die Mitgliederversammlung des Vereins eine Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft beschloss.

Die Diskussion über diese wohl historische Entscheidung wurde in den letzten Monaten intensiv geführt. Auf der Mitgliederversammlung 2016 verkündete die Vereinsführung ihre Absicht und warb in Informations- und Dialogveranstalten für ihr Anliegen. Die Details dieser Ausgliederung werden hier nicht referiert, die kann jeder auf der Webseite des VfL nachlesen. Doch die Art und Weise, wie die Vereinsführung eine offene und konstruktive Debatte über die Zukunft des VfL geführt hat, verdient Lob.

Im Laufe dieser Diskussion gab es in der Fanszene drei Lager. Eines folgte dem Verein in der Argumentation, dass die Wettbewerbsfähigkeit bzw. ein Aufstieg in die Erste Liga nur durch zusätzliches Kapital möglich sei. Angesichts der Entwicklung der TV-Gelder drohe der VfL ansonsten den Anschluss zu verlieren. Ein zweites Lager, z.T. organisiert in der Initiative „echt VfL“ war konsequent gegen diesen Schritt. Befürchtet wurden Traditions- und Identitätsverlust und ein Prozess, der eine wachsende Einflussnahme von Investoren auf die Vereinspolitik zur Folge habe. Ein drittes, vielleicht sogar das größte Lager war zwischen diesen beiden Polen hin- und hergerissen und wägte Pro und Contra ab. Dies war auch meine persönliche Haltung. Der Fanclub „Bochumer Botschaft“ hat zu dieser Frage kein gemeinsames Meinungsbild hergestellt, zumal nur einige Fanclubmitglieder auch Vereinsmitglieder sind. Aus Berlin war ich auch der einzige,  der anreiste, nicht zuletzt wegen des sturmbedingten Zugchaos.

Wer Mitgliederversammlungen in früheren Zeiten erlebte hat, der weiß: Von ein paar Ausnahmen abgesehen, war das ein gemütlicher Altherrenabend im personell überschaubaren Kreis. Auf der Bühne hielten die Herren aus Aufsichtsrat und Vorstand ihre Berichte. Ein paar hundert Mitglieder hörten sich diese an, einige nölten an diesem oder jenem herum, andere lobpreisten die Arbeit. Dann noch Blockwahl des neuen Aufsichtsrates, Ehrungen und Feierabend.

Bereits deutlich vor der Ankündigung der Ausgliederungsabsicht hat der Verein eine Mitgliederwerbekampagne initiiert, mit dem Ziel, die Marke von 10.000 Mitgliedern der Fußballabteilung zu überschreiten. So war zu erwarten, dass bei der Mitgliederversammlung 2017 deutlich mehr Mitglieder als üblich teilnehmen. Bestuhlt war die Bochumer Jahrhunderthalle mit 1.800 Plätzen, die jedoch bei Weitem nicht ausreichten. Es kamen um die 2.700 Mitglieder – absoluter Vereinsrekord! Ein großer Teil musste sich die Versammlung im Nebenraum stehend auf der Leinwand anschauen.

Die Vereinsführung war erkennbar darum bemüht, diese vermutlich so nicht erwartete Mobilisierung zu nutzen, schließlich wusste man von einigen hundert entschiedenen Gegnern. So wurden Routine-Tagesordnungspunkte nach hinten geschoben und die üblichen Berichte von Aufsichtsrat und den beiden Vorständen fix vorgetragen. Aufsichtsratschef Villis machte es kurz und knapp, ging aber noch einmal auf die Trennung von Trainer Verbeek ein („Es passte einfach nicht mehr“). Finanzvorstand Wilken Engelbracht referierte die wirtschaftliche Lage (die hier nicht erläutert wird, Link siehe hier) und konnte verkünden, dass der VfL nun die Marke von 10.358 Mitgliedern erreicht habe. Demnächst wird also als „Dank“ Herbert Grönemeyer noch einmal vor der Ostkurve singen. Während Engelbracht – im Rahmen der Möglichkeiten des Vereins – einigermaßen gute Zahlen vortragen konnte (Finanzen), war dies Sportvorstand Christian Hochstätter nicht vergönnt, weil er für die sportliche Leistung (also Punkte und Tore) die Verantwortung trägt. Er beschönigte die Situation des schlechten Saisonstarts nicht und sagte folgenden Satz, dessen Tragweite erst 48 Stunden später klar werden sollte: „Wir sind in der vergangenen Woche nach einer gründlichen Analyse der Situation zu dem Schluss gekommen, sämtliche Teilbereiche und personelle Entscheidungen zu hinterfragen und alles – Mannschaft, Trainer, Team – auf den Prüfstand zu stellen.“ Ohne eine ernsthafte Aussprache wurden Aufsichtsrat und Vorstand mit jeweils irgendwas um die 99 Prozent der Stimmen entlastet.

Es folgte der „Tagesordnungspunkt Neun“, die Diskussion und Beschlussfassung über die Ausgliederung. Es war die Aufgabe von Wilken Engelbracht, den „Ausgliederungsplan“ zu verlesen. Doch eine argumentative Herleitung der Notwendigkeit (wie auf den Informationsveranstaltungen) erfolgte nicht mehr. Dabei wurde er immer wieder durch Zwischenrufe der Gruppe der „harten Gegner“, die weit hinten in der Halle saßen, gestört. Schon dies führte eher zu einer Solidarisierung der „Unentschiedenen“ mit der Führung des Vereins. Die nachfolgende Diskussion hatte nicht mehr das Ziel, noch Fakten und harte Argumente auszutauschen. Ein Mitglied, das nochmal eine Begründung einforderte, erntete das kollektive Aufstöhnen der Halle. Die meisten Redner in der Aussprache waren für die Ausgliederung und bemühten Phrasen wie „Vertrauen“ und „Zukunft“. Die (in meiner Erinnerung) zwei Redner gegen die Ausgliederung wollten lieber ein Traditionsverein bleiben und den Verein nicht an Investoren ausliefern. Allerdings ging es in ihren Beiträgen noch auf einer anderen Ebene zur Sache. Engelbracht erwähnte zuvor, dass von den neuen Mitgliedern schon 100 wieder ihren Austritt erklärt hätten. Später legte er mit dem Hinweis nach, dass jemand mit „Schalke-Tattoo“ einen Stapel Mitgliedsbeiträge in der Geschäftsstelle abgegeben hätte. Der Vorwurf stand im Raum, die Gegner hätten Mitgliedschaften nur für diese Versammlung organisiert. Einige spitzen diesen zu, dass die Bochumer Ultras Fans von Schalke und Dortmund mobilisiert hätten. Dies konnten die Gegner nicht auf sich sitzen lassen und wiederholten den Vorwurf (auch in den Gesprächen am Rande), dass der Verein die Mitgliederkampagne nur mit dem Ziel einer Mehrheit für die Ausgliederung organisiert hätte. Wie auch immer diese gegenseitigen Anschuldigungen zu bewerten sind, um das Eigentliche ging es kaum noch. Die Argumente waren im Vorfeld schon hinreichend ausgetauscht. Auch gab es keinerlei Änderungsanträge oder sonstige Anträge zum Thema mehr. Es ging schlicht nur um „ja“ oder „nein“ zum ganzen Paket der Ausgliederung. Die Stimmung in der Halle war jedoch eindeutig. Und wenn viele nicht bereits vorher für ein „Ja“ waren, so schlugen sie sich doch in großen Teilen auf diese Seite. Ich selbst habe auch zugestimmt, meine persönliche Entscheidung fiel jedoch schon in den Wochen vor der Versammlung.

Die ausgezählten Stimmen ergaben eine Mehrheit von 80,19 Prozent (Ja: 2.158, Nein: 533, Enthaltungen 16). Als das Ergebnis verkündet wurde, verließ der harte Block der Gegner, vor allem wohl aus der Ultra-Szene, unter Protest die Halle. Dabei wurden Stühle umgeworfen, Böller gezündet, Feueralarm ausgelöst usw. Es soll auch Verletzte gegeben haben. Die Feueralarmmeldung führte dazu, dass noch mehr Mitglieder die Halle verließen. Die Gruppe zog dann zum Ruhrstadion, um dort mit aufgestellten Grablichtern um den „e.V.“ zu trauern. Die offene Frage ist, ob die Folge ein anhaltender Riss in der Fanszene sein wird oder sich das Ganze wieder beruhigt.

Es gab noch ein paar andere Dinge tun, doch die Wiederwahl per Blockwahl des bestehenden Aufsichtsrates der ja nun nach der neuen Satzung „Präsidium“ heißt geriet ebenso zur Nebensache wie diverse Ehrungen.

48 Stunden nach der Mitgliederversammlung mit Böllern platze dann eine andere Bombe. Der Verein verkündete die Entlassung von Trainer Ismail Atalan sowie eine zweiwöchige Suspendierung von Kapitän Felix Bastians, der sich gegenüber Mitarbeitern des Vereins unangemessen verhalten haben soll. Das war also mit der erwähnten „Prüfstand-Ansage“ von Hochstätter gemeint. Auch wenn die Vereinsführung formal erst nach der Mitgliederversammlung über die Trennung von Atalan entschieden haben mag, spricht sehr viel dafür, dass die Entscheidung bereits vorher feststand. In Nachhinein wirkt es fast zynisch, dass Hochstätter in seiner Rede in Richtung Atalan noch ein „Herzlich Willkommen in Bochum“ aussprach. Einen weiteren Tag später fand eine denkwürdige Pressekonferenz statt, auf der formal die beiden Übergangstrainer Jens Rasiejewski und Heiko Butscher vorgestellt werden sollten. Aber eigentlich ging es um Schmutzwäsche. Es wurden Fragen erörtert, warum der VfL mit dem Regionalexpress nach Nürnberg anreiste, warum dort in der Hotelküche Butter an die Nudeln kam (wegen einer Nahrungsmittelunverträglich von Bastians, der dann für das Spiel ausfiel), ob Spieler um 6 Uhr morgen aufstehen wollen und welche Rolle der Sohn von Christian Hochstätter als Teammanager in verschiedenen Konflikten spielte. Peinlich und eines Profivereins unwürdig.

Derzeit scheint der VfL nicht in erster Linie frisches Geld zu benötigen, sondern Disziplin, Haltung und Geschlossenheit. Eine zerstrittene Fanszene, Konflikte zwischen Mannschaft und Sportvorstand, ein suspendierter Kapitän, der sich womöglich nicht im Griff hat, ein Sportvorstand, der eskaliert, statt deeskaliert, ein desaströses Bild in der Öffentlichkeit – all dies ist keine Basis für den sportlichen Erfolg. Da helfen auch die erhofften 20 Millionen nicht.

*) erstellt von Vorstandsmitglied Benjamin Mikfeld und nur seine persönliche Meinung.